05.09.10

Malcolm, Bobby, Sid and me


Sid und Nancy liegen auf einer Matratze.
Sid schläft. Nancy raucht. Sie balanciert einen weißen, aufgeklappten Laptop auf dem Bauch, murmelt leise vor sich hin und summt zwischendurch Teile von Radiohits.
Nancy:
'Ist er nicht süß, schläft, der Sid. Ist müde. Ist anstrengend, immer so auf Tour. Ist ein Star, mein Sid. Ein richtiger Star. Das machen viele Stars, schlafen. Müssen sie auch. Wegen der Anstrengung, so auf Tour.
Ich schlaf auch immer und bin kein Star. Die ganze Woche hab' ich im Bett gelegen und geschlafen, Playstation gespielt und Filme angeschaut. So schwarzweiße. Mit Frisuren aus den Sechzigern. Hübsch sahen die damals aus, die Mädchen, auch die Jungs. Tolle Frisuren. Und so höflich sind die gewesen. Reden feine Sachen miteinander. Gefällt mir gut.
Sid meint immer: 'Nancy, du bist so intelligent. So intelligent und schlau. Ziehst dir immer so Zeug rein.' Das findet er toll. Ich find' ihn auch toll. Er zieht sich ja auch was rein, aber anders eben. Er sagt immer, ich hab' das Gehirn und er das Aussehen. Stimmt auch. Genau anders herum wie bei der Kate und dem Pete. Das sind auch Freunde von uns. Die treffen wir immer auf Parties. Sid meint immer, er will da nich' hin, auf die Parties. 'Will lieber kuscheln mit dir, Nancy', sagt er immer. Aber am Ende gehn' wir dann doch hin. Und ich sag' immer zu ihm. im Taxi, oder vorher, wenn er so quengelig is': 'Sid, mein Schatz, das ist ja auch wichtig. Die Leute müssen dich doch schließlich sehen. Du bist doch ihr Star. Du bist so berühmt. Und mein Schatz!' Da werd' ich dann immer richtig fröhlich von, wenn ich das sage:'Das ist mein SId.'
Das sag' ich auch immer vor mich hin, wenn's mir mal nicht so gut geht. 'Nancy, guck' mal, das ist dein Sid. So berühmt ist er und so toll sieht er aus. Ist er nicht toll?'.
Und naja, manchmal sind die Parties auch wirklich doof irgendwie. Alle hacken dann auf Sid rum. Und er wird böse und fängt Streit an. Dabei ist er doch gar nicht so, mein Sid. Aber er sagt immer, er muss das tun, damit er gerade heraus kommt. Das verstehe ich nicht. Er ist doch schlauer als ich. Ich bin aber nie böse mit ihm, denn er ist ja ein Künstler, ein richtiger und mein Sid.
Naja.
Und manchmal ist es auch lustig. Alles, das ganze Leben. Auch die Parties. Es gibt lecker Essen und Trinken, feine Sachen, wie die Frisuren in den Filmen fast, so fein, manche Sachen hab' ich noch nie gegessen, in meinem ganzen Leben noch nicht, so feine Sachen sind das. Und alle trinken viel und lachen und sind fröhlich sogar auf dem Klo und wirklich nette Leute sind dann da! Alle sind soooo nett. Richtige Freunde. Und Spaß haben wir, Sid und ich. Aber danach ist Sid immer so müde und ich auch.
Nur geschlafen hab' ich die ganze letzte Woche.'

Bobby Orlando und Malcolm McLaren sitzen in Berlin in einem Starbucks-Café und schweigen. Im Hintergrund dudelt leise 8oer-Jahre Musik. Nach einiger Zeit, beide haben schon mehrere Zigaretten geraucht, bricht Bobby das Schweigen:
Eines muss ich dir lassen, Malcolm, dass du damals die NewYorkDolls gemanaged hast, kann ich echt verstehen. Hast dir einen Teenagertraum erfüllt, wie Eminem, der Kim Basinger in 8Mile seine Mutter spielen lässt. Kann ich echt verstehen, ich war auch ein totaler Dolls Fan. Glamrock war genau das richtige für mich: ich war ein beschissener Hippie, das war echt nicht mein Ding, ich hab's kurz versucht, aber ich hatte z.b. ein CheckBuch - verdammt, kein richtiger Hippie hat ein Checkbuch, das machte mich als Hippie zum totalen Loser. Aber Glam!, ich war ein echter GlitterBoy. Ich hatte megalange Haare und ich sah richtig gut aus, ich war extrem hübsch, wirklich! Und im GlamRock musste man auch keine Drogen nehmen und es war ok, ein Kapitalist zu sein- Plateuschuhe sind schliesslich verdammt teuer!
M: Aber geschminkt hast du dich nie, oder?
B: Nee, ich bin doch keine Tunte!
M: Wir haben uns alle immer von Vivien in Frauenklamotten stecken lassen, das sah einfach besser aus.
B: Kann sein, solange ihr nicht schwul wart, war ja nur Mode. Ich mein, ich hatte ja auch lange Haare und war extrem hübsch, bin ich immer noch, aber bin ich schwul! Niemals! Und die Dolls waren auch nicht schwul, auch wenn sie Lippenstift drauf hatten, nee, der Lippenstift war den Fans egal, die fanden das gut irgendwie als Style, aber als ihr die Dolls in Hammer-und-Sichel-Kostüme gesteckt habt, das kam nicht so gut an.
M: Ja, die haben sich bald darauf aufgelöst.
B: Mit den Hakenkreuzen hat das Konzept dann ja besser funktioniert.
(Malcolm schweigt)
B: Der Manager von Tat.u, Shapowalov, hat das bei seinem zweiten Projekt, der Sängerin Nat.o, auch nochmal versucht, fällt mir grad ein, in ihrem ersten Videoclip ist sie verschleiert und schwarz gekleidet wie eine tschetschenische Selbstmordattentätrin. Ihr Debütkonzert in Moskau am 11.September 2004 wurde als „Terrorakt-Konzert – eine musikalische Terroroperation ohne jedes Kokettieren mit den Zuschauern“ angekündigt - is natürlich gleich verboten worden.
M: Marketing ist keine Kunst.
B: Kunst ist Marketing.
M: Marketing ist keine Kunst.
B: Stimmt. Man muss nur mit der richtigen Einstellung an die Sache rangehen: Ich zb. war ja mal Boxer. Und Schallplatten produzieren ist wie Boxen. Oder Boxen wie Schallplatten produzieren. Beides sind schmierige Geschäfte. Beim Boxen gibt es schmierige Charaktere, aber sie haben meist irgendwie Charme. In der Plattenindustrie jedoch sind die Leute meist uncharmant, dadurch fiel es mir ziemlich leicht, von Gegner zu Gegner zu gehen...Der grosse Unterschied ist, daß man bei Platten die Aggression, die man beim Boxen benuzt, um jemanden die Fresse zu polieren, stattdessen in die Beats steckt. Und meine Beats sind besonders aggressiv, meine Bässe fett und meine Punchlines gut. Ich glaube an die Beats.
M: Ich glaube an die Kunst.
B. Echt jetzt? Ich bin überzeugt, daß jede Platte, die ich jemals herausgebracht habe, und das sind tausende gewesen, so wertlos und nutzlos ist wie jede andere auch. Alle, die denken, daß zb ihre Musik irgendwie etwas besonderes ist, sitzen einem totalen Trugschluss auf.
Nichts, was ein Künstler machen oder tun kann, ist irgendwie wichtig. (Alles, was nicht Gottes Wort ist, ist mit dem teufel im Bunde und muss als von Sünde befallen angesehen werden.)
M: Es geht darum, daß man kämpfen muss, daß man scheitert, daß man versagt. Man bemüht sich, man kämpft, man erreicht aber niemals einen Endpunkt, man ist nie zufrieden, denn wenn man zufrieden ist, hat man aufgegeben, dann ist man tot. Unsere ganze Kultur, dieser ganze Kapitalismus, ist hohl und tot. Deswegen empfindest du auch alle Platten, die du produziert hast, als Müll, denn das sind sie: Müll. Punk.
Daher wollte ich immer Klamotten machen, die falsch aussahen. Ich wollte das Anti-Kommerzielle. Ein Manifest, das die Kultur auf den Kopf stellen würde, eine Kultur, in der es nicht mehr um Notwendigkeiten ging, sondern nur noch um Wünsche und Begehren, die man sich durch Kaufkraft erfüllen konnte. Wir wollten teilhaben und nicht nur teilnehmen, wir wollten uns selbst als unverkäuflich erklären, wir wollten lieber grossartige Versager sein und brilliant scheitern, alles, nur kein dummer, unkritischer, freundlicher gesellschaftlicher Erfolg sein! Für einen kurzen Moment traf ich scheinbar den Nagel auf den Kopf: mit dem Laden “Sex” und mit den 'Sex Pistols', ein Konzept, was scheitern musste - die Pistols waren kleine Selbstmordattentäter-Torpedos, wir waren Kultur-Terroristen, wenn man so will. Und es hat funktioniert, es markierte einen echten kulturellen Moment, sehr künstlerisch, sehr befriedigend.
B: Klar, du hast dem kapitalistischem System neues, geiles, total innovatives Blut eingeflösst...
M: Und das war’s. Danach war ich bewegungsunfähig. Ich konnte niemanden mehr überraschen. Ich flüchtete dann nach Paris, das war 1978/79, damals liebten die Pariser englische Rüpel. Zurück in London stürzte ich mich wieder auf Musik und Mode: Adam and the Ants, BowWowWow, Boy George. Aber nichts hatte mehr die gleiche Energie. Die Naivität war futsch.
B: Sid Vicious war tot...
M: Ich fühlte mich wie ein Söldner, ein idiotischer Manager, ein idiotischer Architekt. Alles war ordinär, es ging nicht um Alchemie, nicht um Magie. Große Künstler sind immer Magier. Aber bei mir ging es nur ums Verkaufen, um Produkte, völlig fragmentiert. Dagegen wollte ich wieder ein traditioneller Künstler werden. Aber wie den Fuß in die Tür kriegen? Das war in den 80ern …Ich endete in Hollywood, arbeitete für eine Menge verschiedener Kino-Produzenten als Muse, Ideen-Geber, Drehbuch-Schreiber, Sound-Konzepter. Das hielt ich vier Jahre aus.
In Europa hatte ich keinen Plan, aber viele Angebote: Malcolm, komm zum Fernsehen, mache Werbung, komponiere schöne Musik für unser Produkt. Gilette, American Express, British Airways. Ich hab’s gemacht. Aber es gibt nichts Unbefriedigenderes als einen Orangensaft-Spot zu drehen: kein Feedback, kein Geben und Nehmen, nur Müll. Nach einem Jahr war ich depressiv. Ich stürzte mich in Affairen und fand das Leben scheiße. Aber ich lernte viel über mich.
B: Was ist so schlimm daran, Affären zu haben, du hättest ja auch anfangen können, Drogen zu nehmen wie Sid Vicious, dann wärst du dreissig Jahre früher gestorben...In meinen Songs geht es immer um Sex: Telephonsex, Gedankensex....'I'm in love with a married man' war ein grosser Hit.
M: In der Gay Community, muss man dazu sagen. Die haben alles von dir gekauft, jede 12'' die rauskam, Schwule sind noch immer deine besten Kunden.
B: Davon weiss ich nichts, die Leute haben auf meine dicken Bässe gestanden, verdammt, auf Disco, ich hab HighEnergy erfunden!
M: Komm, Bobby, mach dir doch nichts vor, Disco war gay - und du hast dir ja schliesslich nicht von ungefähr Divine ins Boot geholt. Und die Queerness von Divine war ein Tsunami!
B: Wir hatten ein lukratives Arbeitsverhältnis, wir haben nicht über Privates gesprochen. Ich hatte auch viel mehr Kontakt zu Divines Manager. Divine war schon ein Star und mochte meine Arbeit, also liess er anfragen, ob ich ihn produzieren möchte. Ich habe Divine unterstützt, bis sie zu Stock, Aitken und Watermann wechselte 1984, kurz darauf starb er.
M: Divine war für dich, was die Sex Pistols für mich waren.
B: Hm, nee, ich würde eher sagen, daß die Pet Shop Boys meine Sex Pistols waren. Diese Punk-Inszenierung, das war dein grosser künstlerischer Moment und wenn ich dich vorhin richtig verstanden habe, ging es danach abwärts mit dir...
M: Ja, meine Naivität war dahin. Mein Glaube an die Kunst war angeknackst. Ich hatte den Kunstmarkt verstanden und benutzt, aber er hat mich sehr viel mehr benutzt. Vivien hat es in ihrer Mode auf den Punkt gebracht: wir waren Savages, kleine Wilde, naive Kinder, wütend, ja, aber unendlich naiv, niedlich. Wir waren dumm. Ich war dumm. Ich dachte, ich hätte dem System ein Schnippchen geschlagen, aber letztendlich hat es mich ausgelacht. Wir haben uns vereinnahmen lassen. Ich meine, wir haben uns richtig damit beschäftigt, wir wusssten, daß wir in dieser kommerziellen Welt leben, es war eine Herausforderung. Wie soll man leben in dieser kommerziellen Welt? Und wir sind daran gescheitert.
B: Komisch, bei mir war es eigentlich genau anders herum. ich habe nie an etwas geglaubt, ausser an Gott vielleicht, der mir einen Auftrag gegeben hat - sei fruchtbar und mehre dich - und das habe ich gemacht, 30 Platten im Monat habe ich produziert. Ich habe jedes verfickte Instrument selbst eingespielt, aber ich habe nie an Kunst oder so geglaubt. Künstler nehmen sich viel zu wichtig, sie haben nichts zu sagen, es gibt keine Kreativität, nur Marktanteile, das hab ich gedacht, bis ich Neil und Chris, die Pet Shop Boys getroffen habe.
M: Die haben dir das Herz gebrochen, was?
B: Es geht nicht darum, daß sie zu EMI gegangen sind, gleich nachdem ich WestEndGirls zum Hit gemacht hab, SIE zum Hit gemacht hab, das waren doch schüchterne, unsichere Jungs, als ich sie kennengelernt hab...ich wollte sie beschützen vor diesem ganzen Schmutz...
M: ...und sie haben dich benutzt...
B: Ich habe keine bitteren Gefühle ihnen gegenüber, ich wäre immer noch ein bessserer Produzent für sie, sie machen viel Scheiss jetzt, sie haben schlechte Berater. Dass sie zu EMI gegangen sind, die sie erst nicht haben wollten, abgelehnt haben sie sie, damals 1983, aber ich hab' sie getröstet: wenn die Majors etwas ablehnen, dann ist es immer gut, habe ich ihnen gesagt, jedenfalls, klar, das fand ich nicht so toll, nee, was schlimmer war: ich habe an sie geglaubt.Iich habe plötzlich angefangen, an Musik zu glauben, an Kunst zu glauben, an Kreativität, daß man doch etwas sagen kann, daß nicht alles Dreck ist. Geld ist.
M: ...weil es dann mehr ist als ein Produkt. Und Kunst muss immer mehr sein als ein Produkt. Es funktioniert sonst nicht. Es ist nicht magisch.
B: Andy Warhol hat versucht, Kunst zu einem reinen Produkt zu machen. Er hat Dollarzeichen gemalt.
M: Aber heraus kam immer nur Kunst, Kunst, Kunst. Andy war ein Magier. Heute jedoch kommt meistens nur ein Produkt bei raus.
B: Und du hast versucht, Musik zu machen...
M: ...aber es kam immer nur Mode heraus. Die Sex Pistols waren als Kunstding geplant. Ich wollte ein Bild malen, aber zu der Zeit war es total out, zu malen, das ging nicht mehr, niemand wagte es, einfach ein Bild zu malen. Also nahm ich einen Umweg und erschuf die Band, aber es ging nie um Musik. Ich habe ein Bild gemalt.

Sid und Nancy liegen auf einer Matratze.
Sid schläft. Nancy raucht. Sie balanciert eine weiße, aufgeklappte Katze auf dem Bauch, murmelt leise vor sich hin und summt zwischendurch Teile von Radiohits.
Nancy blutet aus dem Bauch. Das Blut bildet eine Lache auf Nancys Bauch, breitet sich im Bett aus, verschmiert rot auf der weissen Katze. Die weisse Katze wäre, brächte man sie zu einer Katzenshow, jetzt nicht mehr so viel wert, aber sieht nun viel interessanter aus.
Nancy:
Das war eigentlich Ottos Idee, er hat viel Blut von den Dreharbeiten mit nach Hause genommen, überhaupt war er plötzlich total motiviert. Völlig ausgeflippt, so workaholic-mässig. Er hat morgens immer Sturm geklingelt, wir haben natürlich noch geschlafen, aber Otto war die ganze Nacht aus, klar, hat getanzt zu Italodisco oder Eurotrash, immer in so Schuppen, die voll waren mit HeteroTouristen aus Spanien oder Italien, die nach Berlin gekommen sind, um in richtige Schwulenklubs zu gehen. Warum, weiß ich nicht. Total voll war es da immer. Otto hat sich lebendig gefühlt, dabei war er doch mindestens schon genauso lange tot wie wir, aber er hat angefangen, jeden morgen seinen Blog zu befüllen, hat da Polaroids reingeklebt, er mit Federn hier, mit Schühchen da und auch mit Bart, immer einen anderen Kerl im Arm. 'Ich bin Otto und ich lebe jetzt' hat er sich auf's T-shirt drucken lassen, mit so einem I love NewYork Herz darunter. Gibt ja ne Menge Siebdruck-Kollektive in Berlin. Die meisten leben davon, daß sie den Touristen im Mauerpark Kuschelkissen verkaufen. Otto war total euphorisiert, am Puls der Zeit, er war die Zeit. Wie das so zusammentrifft. Zehn Jahre lang war Otto out, hängengeblieben, immer Streifenshirts und Röhrenjeans und schwarze Spikes, total out, aber Otto war mal Fan von Sid, ganz früher war das und von da hat er sich den Style erhalten. Und jetzt, in den Berliner Nächten, weil eigentlich kommt er aus Passau, hat er sich selbst verkauft, aber auch nur so halb. Ich meine, er bleibt trotzdem Otto, und wenn er wieder out ist, macht er trotzdem so weiter. Das trau ich ihm schon noch zu, daß er so weitermacht. Ist jetzt sein Ding, Sachen mit Blut beschmieren. Er ist auch in Blut bezahlt worden, bei den Dreharbeiten, Herzblut, sonst nichts.

B: Ich spiel dir mal mein neuestes Stück vor, die Platte ist gerade rausgekommen, gib mir mal deinen Laptop rüber, ich ziehs dir drauf, ich hab's auf 'nem Stick dabei.
(spielt Stück laut ab)
M: Hm, hört sich an wie jedes andere deiner Stücke...Ich finde sowieso, Kultur kann man mit zwei Worten zusammenfassen: Authentizität und Karaoke. Die meisten Künstler, auch Musiker, verbringen ihre Zeit damit, Karaoke authentisch zu machen.
B: Man kann ja auch nur noch zitieren. Tonnenweise. Es gibt schliesslich schon alles, warum das nicht benutzen. Ich finde es viel ekelhafter, die ganze Zeit angeblich neuen Scheiß zu produzieren, innovativ, kreativ zu sein, sich selbst zu verwirklichen, das ist das schlimmste. Du hast recht, Karaoke authentisch machen, das ist zum Kotzen. Das hält doch nur die Umstände am laufen. Ich versuche nicht, authentisch zu sein, ich bin Anwalt geworden und kenne meine Rechte. Ich kaufe mir Rechte an Karaokestücken, wenn's sein muss. Die HipHopper, die haben sich anfänglich genommen, was sie wollten, schwarze Geschichte, weisse Hochkultur, PunkRock, alles, aber heute kann man sich das nur noch leisten, wenn man dafür bezahlt, das kann sich nur noch P.Diddy leisten oder Michael Jackson.
M: Da fällt mir ein: Ich würde dir gern mein neuestes Video zeigen, aber leider bin ich tot.

Sid und Nancy liegen auf einer Matratze.
Sid schläft. Nancy raucht. Sie balanciert einen weißen, tragbaren Plattenspieler auf dem Bauch, murmelt leise vor sich hin und summt zwischendurch Teile von Radiohits.
Nancy: Sid hat Malcolm vorgestern getroffen. Er hat auf ihn gewartet, vor der finnischen Sauna. Er wusste, daß Malcolm als erstes in die Sauna gehen wird, weil da immer die wichtigen Leute rumhängen und schwitzen. Sie sitzen eng nebeneinander, rot im Gesicht und fassen sich ab und zu an, ohne sich anzuschauen. Dann schlagen sie sich mit Brennesseln gegenseitig auf die Penisse. Warum, weiß ich nicht. Frauen gehen da nicht rein, es gibt keine Garderobe, so dass man jemanden bitten müsste, die Jacke zu halten. Ich habe einen schönen weissen Kunstpelz, darin sehe ich aus wie Divine, vielleicht sieht Divine auch eher wie ich aus, das kommt vom Lippenstift. Meine Mutter hat immer gesagt, ich sehe aus wie eine Transe, mit dem ganzen Schmutz im Gesicht. Ich wusste nie, was eine Transe ist und woher meine Mutter welche kannte.
Jedenfalls ist Sid da hin, wie immer bischen wackelig auf den Beinen, er hatte auch Angst. Malcolm hat viel blödes Zeug über Sid erzählt und Johnny hat mitgemacht. Da haben sie sich gestritten und Sid kam nicht gut weg dabei. Er ist zu mir gekommen und hat gesagt, daß er nicht einverstanden ist. Er sagt, Malcolm sitzt in der Sauna und spielt die Leute gegeneinander aus. Er erzählt, Sid sei nicht Punk genug und Bobby nicht schwul und Divine nicht schwul genug, weil sie keinen Sex mit ihm haben wollte und ich sei sowieso keine Lesbe, was stimmt. Bobby ist so ein Musikproduzent für Disco, Otto steht total auf das Zeug von Bobby, aber Bobby geht angeblich nur in die Sauna zum Geschäftemachen. Sid sagt, er will nur Musik machen, aber Vivien hat ihn in die Klamotten gesteckt, aus Webezecken, und gesagt, wenn er sie nicht anzieht, dann verpfeift sie ihn bei den Bullen. Johnny und Sid haben nämlich David Bowie die Gitarren geklaut, ist wirklich wahr, aber schon ewig her. Ich sage Sid, daß er ein armer Schatz ist. Dann kommt Otto rein und sagt zu mir, Mensch Nancy, weißt du was, ich habe gerade Bruce getroffen (Bruce sieht ein bisschen wie Andy Warhol aus, deswegen steht Otto auf ihn) und er hat mir eine Rolle in seinem neuesten Film versprochen, sogar die Hauptrolle! Er braucht so Zombies wie mich, hat er gesagt. Sid hat Otto angeschrien, daß Otto doch kein Zombie ist und daß Otto spinnt, weil er in der Disco zuviel Pillen gefressen hat. Otto soll an sich glauben und an Punk glauben, Otto, du bist doch ein Punk! Punk ist nicht tot, aber Malcolm ist tot. Wir sollen auf Malcolm scheissen, Malcolm sitzt in der Sauna und stinkt.

B: Ich bin weder tot noch lebendig, ich bin ein Zombie.
M. Hälst dich raus.
B: Ich kann es mir leisten, ja. Mein Geld auf der Bank liegt ja auch herum und arbeit für mich, ich muss nichts dafür tun, ja, ich kann mich raushalten aus dem Geschäft. Denn beim Sich-Raushalten, Nichts-Tun, Schlechter-Arbeiten geht es natürlich darum, sich aus den Geschäften, dem Kapitalismus, rauszuhalten. Ich habe fast zehn Jahre nichts produziert, gar nichts, nachdem die PetShopBoys zu EMI gegangen sind.
M: Du hast deine Wunden geleckt, Jura studiert und ein Buch geschrieben, in dem du die Evolution ablehnst, 'Darwin Destroyed' heißt es. Jetzt bringst du alle fünf Jahre mal eine Bobby O-Platte raus, einen Disco-Zombie, Disco-Karaoke.
B: Genau. Ich bin ein Zombie, denn ich weigere mich, etwas Neues zu machen.
M: Und nichts Neues machen ist per se gut? In dem Sinn, daß du behauptest, dir nicht die Finger schmutzig zu machen?
B: Im Gegensatz zu dir, der noch reale Menschenopfer gebracht hat, der gedacht hat, er kann was umkrempeln, die Umstände zerstören und sie doch nur auf Kosten anderer erneuert hat, im Gegensatz zu dir, der immer nur Alternativen angeboten hat, die dankbar angenommen worden sind, im Gegensatz zu dir, ja, halte ich mich raus, ich erfinde nichts, ich bin langsam, überholt und bockig.
M: Du gehst mit dem Fluss, du lässt dich überrollen, versucht nichts, du machst gar nichts, langweilig ist das.
B: Genau, das soll ja auch langweilig sein. Du hast acht Jahre Kunst studiert, Theorie gelesen, Umstände studiert, und bist dann in die erstbeste Falle getappt: du hast nämlich gedacht, du kannst was eigenes machen, dein eigener Manager sein, du checkst es. Dann aber stellst du fest, du bist ausgesaugt worden und kriegst 'ne Krise. Heulst rum, der 'Kunst' nach. Nein, du musst zum Zombie werden! Nicht dich locken lassen von angeblicher Selbstverwirklichung, Zombiismus, das ist die wahre Selbstverwirklichung!
M: Du kannst dir das Zombietum doch nur leisten, weil du Knete hast - machst jetzt auf Zombie-Bohéme, weil du ein guter Geschäftsmann warst, auch der im Zombiemodus, hast nie was eigenes probiert, aber beim ersten Hauch von Liebe und Leidenschaft zu einer Sache, die dich angreifbar macht, kriegst du Angst, knickst du ein, ziehst dich zurück und wirst HyperChrist. Die queeren Kids, die du nicht magst, nie mochtest, tanzen noch immer zu deiner Musik, aber das ist dir egal, du behauptest, nur solange verantwortlich für deine Handlungen zu sein, solange du aktiv bist. Und da du als Zombie nicht aktiv bist, bist du nicht verantwortlich. grossartig.
B: Soll ich lieber raus in die tanzende Menge gehen, rufen: 'Who wants to die for art?' und ein paar schwule Kids erschiessen, die zufällig zu meiner Musik tanzen, nur weil ich sie nicht mag? Mir ist egal, was die Leute aus dem machen, was ich rausbringe. Ich schaue, was geht, was sich verkauft und das mach ich.

Sid und Nancy liegen auf einer Matratze.
Sid schläft. Nancy raucht. Sie balanciert einen weißen, aufgeklappten Laptop auf dem Bauch, murmelt leise vor sich hin und summt zwischendurch Teile von Radiohits.
Nancy:
Sid hatte dann eine Depression. Er hat geglaubt, er sei dumm. 'Nancy', hat er gesagt, 'die Leutes sagen, Sid ist dumm, Nancy ist sowieso dumm. Ich kann es in ihren Gesichtern lesen, nachts auf den schicken Parties und tagsüber im Supermarkt. Sie denken, wir sind dumm, wir lassen uns verarschen. Sie denken, Malcolm ist unser Boss, er hat uns erschaffen. Sie denken, wir schlafen im Keller und ab und zu lässt er uns raus, damit wir Publicity für ihn machen. Aber wir waren doch vor Malcolm da, vielleicht haben wir sogar eher Malcolm erschaffen, er braucht uns doch, ohne uns gäbe es keinen punk. ich meine, klar,Malcolm kann geil reden und er hat mich aufgebaut, mir geholfen, zu mir gesagt, daß ich nicht verrückt bin, weil ich so wütend bin, manchmal und du bist auch so wütend manchmal, im gegenteil, er hat gesagt, daß es gut ist und richtig, wenn wir wütend sind und ich soll mir nichts einreden lassen und daß du gut aussiehst mit deinem Lippenstift, auch nach dreissig Jahren noch und ich finde das eigentlich auch. Du siehst doch toll aus.'
Ich finde er hat recht. Das hab ich ihm auch gesagt. 'Sid', hab ich zu ihm gesagt, 'ich finde auch, daß du toll aussiehst. Du bist doch mein Sid.' Und dann musste ich ein bisschen weinen und Sid hat auch ein bisschen geweint und dann wollte er wieder los, in die Sauna. Malcolm die Meinung sagen und Bruce auch, wenn er dann schonmal dabei ist, Streit anzufangen, 'weil man muss gerade herauskommen, das ist das wichtigste', hat er gesagt, aber ich hab zu ihm gesagt, 'Sid', hab ich zu ihm gesagt, 'ich finde, Malcolm und Bruce, die musst du unterscheiden.' Aber Sid konnte gar nichts unterscheiden, weil total dicht war der von den Depressionen. Ich hab geweint und ihn versucht festzuhalten, aber nur ein grosses Loch hab ich in sein T-Shirt gerissen und dann ist Otto reingekommen und war total hysterisch, wollte auch mit in die Sauna, wegen den ganzen berühmten Leuten, die er da treffen könnte, war er ganz aufgeregt. Er hat überall Kunstblut verspritzt und die ganze Zeit hysterisch gelacht. Und getanzt hat er und Sid ist immer wütender geworden, weil keiner hat ihn ernstgenommen und da hat er dann ein Messer genommen. Wir sind alle im Kreis herumgetanzt, Otto hat Herzblut verspritzt und Sid hat mit dem Messer auf seinem Bass herumgekratzt und ich habe auf dem Boden herumgetrampelt mit den HighHeels und spitze Schreie ausgestossen. Keine Ahnung, ob das was gebracht hat. Nur geschlafen hab ich die ganze letzte Woche.

Performed on the 3rd of September 2010 at Queerpunk-Festival Berlin by Itty Minchesta with kind support of Dr. Legasto and NoNuYörk.

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