27.02.11

Radioséance

Schlaf
wandeln durch LehrGänge Betten Kantinen Sparkassen
Schalter. Köpfe gehn torkelnd
auf Tischplatten nieder
Einfallsarmut Darmkathastrophen
Risse
in den Gedankenketten. Zweifel am Uhrzeigersinn
Kurzwellenkamikazegeschrei
Fest-
ansprachenernteerträgemusik-
schlagzeilendialogfetzen ALLES
Entscheidende passiert uns
im Sitzen. Starren durch Fenster auf fremde
Sehnsucht
ist die mehrzahl von glück*
ansonsten bin ich müde, plattnasig und unwissend.
was berichte ich noch?
wie ich mich nicht getraut habe, die untergrund-literaten des prenzlauer bergs anzusprechen.
extra bin ich vor zwei wochen in den prenzlauer berg gefahren, zu einer ausstellungseröffung in einer galerie, die ein ehemaliger ost-punk, der herausgeber, kurator und buchschreiber von 'ostpunk! too much future', seit nicht allzu langer zeit betreibt - wie ich vermute, aus interesse - diversen eigenen wie auch erhofften fremden.
und ich, ich erhoffte an diesen interessen mit eigeninteresse, ich habe nämlich in letzter zeit das bedürfnis, möglicherweise spannende menschen, die noch nicht tot sind, leibhaftig kennenzulernen und austausch zu bekommen: wie ein alltag aussieht und wie er sich lebt, als differenz von erwünschtem und tatsächlichem. als entscheidung zum wunsch nach differenz, interesse und nichtzufriedenheit.
abends sind manch mal scheiter haufen fakt die
schluxen sich voll abgeglukster sorgen fast
jeder von den leuten hat die selben anders kaum
wer verstehts aber nicht einer hats versucht
son scheiterding nem andren probeweise mal zu
borgen*
z.b. punk zu sein in ostdeutschland
so habe ich mir erlesen, hat bedeutet, das man ganz schnell ganz viel nicht mehr machen konnte, wie seinen beruf ausüben oder studieren. die lebensläufe waren ja quasi vorgeplant, und all das hat man abgeschnitten. da blieb nur noch ein job als friedhofsärtner oder turnhallenwart und vorher der knast oder psychatrie. das ganze leben hat sich also drastisch verändert durch punk. ohne rückfahrkarte in die 'normalität'. ohne option auf popstartum und gelungene vermarktung - für viele im westen war (und ist punk ja eine sichere fahrkarte zum managerstuhl (gestern erst hat mir jemand von einem ex-punk berichtet, der jetzt chef einer faschingskostümfirma in china ist).
punk im westen machte eher lebensfähig, zumindest diejenigen, die nicht gestorben sind, ganz einfach, weil im kapitalismus immer alles als chance eingebettet und befriedet wird, zur blutauffrischung dient - als gäbe es kein morgen läuft der direktsaft.
und ich, 10-12 jahre zu spät geboren für 79erPunk, verliebt und verstrickt in totes material seit dem ersten geklauten fanzine aus der kasseler stadtbibliothek. punk im postpunk-zeitalter aus entscheidung, aus bockigkeit, aus verweigerung und unzufriedenheit - die ich mir zu erhalten versuche bis heute.
die unzufriedenheit offenhalten, ohne gleich eine alternative zu erschaffen.
1989, grosse enttäuschung, hoffnung tot auf statt staat geile unzufriedenheit
hoffnung als gäbe es kein morgen: punk, die offenheit erhalten, ohne gleich eine alternative zu erschaffen.
weil das aber stress macht, macht das stress. angst auch. und allein. nicht zufrieden sein und nicht müde, manchmal sogar richtig wach, das geht nur über kommunikation: wie hälst du aus, was hält dich unzufrieden, was regt dich an, was rüttelt dich und wovon träumst du.
und deswegen bin ich zum prenzlauer berg gefahren.
die galerie hat ein sehr grosses schaufenster, es fiel also nicht schwer hereinzusehen. in dem sehr kleinen geweißelten raum sah ich fünf leute mit astraflaschen in den händen beieinander stehen, als würden sie sich seit dreissig jahren kennen. Über ihnen war grossformatige BildDruckLyrik aus den 80ern gehängt, die vielleicht auch nur aussah wie aus den 80ern.
Bis auf die wände eventuell war mir das alles keinesfalls unsymphatisch.
Leider aber war ich allein und fühlte mich auch so. und ich war weder mutig noch betrunken - ich war schüchtern. am abend zuvor, das kam hinzu, war das gegenteil der fall gewesen, ich also waghalsig und betrunken,was zu tanz und gutem gefühl und kurzem küssen mit einem jungen geführt hatte-
Diese fähigkeit mich schweifen zu lassen aber fehlte mir nun quasi proportional. ich war schüchtern, müde, verquollen und sentimental.
dennoch habe ich mich in die galerie hineingewagt, hallo gesagt, alle haben mich angeschaut, stumm, ich war wohl kein bekannter schon seit langen jahren und schaute auf den boden und nicht offen in gesichter.
also bin ich einmal durch die galerie gegangen, habe mir verstohlen die bilder angeschaut, habe nicht gewagt, mich zu den fünf freunden dazu und meine frage zu stellen: 'und ihr, wie geht es euch, ihr punks, was macht ihr nun, wie haltet ihr aus, ihr bockigen, denn das seid ihr doch noch und das ist schön' und dann bin ich wieder rausgegangen. kein punk war ich, sondern ein selbstversager, also ging ich zum späti, wo ich mir ein bier gekauft habe, gegen das innerliche zittern, aber davon bin ich erstmal nur zittriger geworden.
nun ist es so, daß nicht etwa nur ein literat des prenzlauer bergs eine galerie eröffnet hat, sondern zeitgleich einer seiner kollegen tatsächlich um die ecke eine kneipe, in der an diesem abend das 'oberkreuzberger nasenflötenorchester' spielte. also bin ich dahin.
ich dachte, kneipe vielleicht entspannter als geweißelte wände, aber auch mit interesse habenden leuten voll.
als ich ankam, spielte das orchester schon hits der jahrzehnte per nasenflöte. ich habe mich an den tresen gesetzt, zu einer dame, die geradezu als schön zu bezeichnen war, von einem hollywoodartigen aussehen, liz taylor oder so, weil sie mich freundlich angelächelt hatte beim hereinkommen, wie sich später herausstellte, eine galeristin, amerikanerin auch.
an diesem punkt unseres gesprächs hatte schon die muschi einer uns beiden nicht bekannten frau über uns gehangen.
es war nämlich so, daß das nasenflötenorchester eine exhibitionistin angezogen hatte, eine frau mittleren alters, gut erhalten und mit lesbischer frisur, die sich im verlauf des flötens ausgezogen hatte und gogo tanzte inmitten der musiker, die alle aussahen wie udo lindenberg jetzt. also viel schwarz, viel strähnige haare, lang, viel verlebt aussehen. alles menschen, die nicht als manager aus den 80ern herausgekommen sind, sondern sympathisch, Udo hin- oder her.
verstärkt durch die präsenz der exhibitionistin, verstärkt auch durch ihre repetive musik, wirkte das orchester auf mich allerdings als fastnachtsverein oder bierzeltkumpane ein - trancetanz, rocker, die humor beweisen, easy rider's schlüsselszene: lagerfeuer mit menschenknochen.
und die exhibitionistische dame hat dann eben später nicht nur auf der bühne, sondern auch auf den tischen der gäste, sowie auf dem tresen direkt über mir und der liv-tyler-artigen getanzt, so daß man geradehoch in sie hineinsehen konnte.
der tanz war lustig, weil es hat keiner was gesagt. vieleicht nur aus höflichkeit, vielleicht aber wegen dem interesse, das doch da war. an diesem ort.
hinter dem tresen standen der ostliterat, der ebenfalls aussah wie udo lindenberg, nur mit mehr nieten, und seine freundin, die ein t-shirt mit dem aufdruck 'punkrock c'est moi' trug. die gäste, wie man sich intellektuelle so vorstellt: schwarz gekleidet, wasserstoffblondiert, zottelig hochtoupiert, starkroter lippenstift, starke selbstgedrehte, viele wodka, viele hornbrillen und auch seit jahrzehnten befreundet.
ich wusste nicht so recht, was ich erwartet hatte, aber ich war ein wenig enttäuscht, was seltsam erscheint, weil hört sich doch gut an, nach interessantem abend.
also habe ich zwei bier getrunken mit der galeristin während folklore und körpergucken und dann kam noch ein freund von mir dazu, der eine psychose hat, weil er an der uni keine karriere macht, trotz interesse, sondern stattdessen von kameras beobachtet wird. wir haben noch zwei bier getrunken, ich habe dann auch nicht mehr gezittert, es war ja auch nichts am brennen, in mir nicht und auch in der kneipe nicht, von euphorie also keine spur, und dann bin ich etwas frustriert in die tram gestiegen und zum alex gefahren.
in der tram mir gegenüber stand ein unauffällig gekleideter etwa 23jähriger, der eifrig in ein kleines rotes notizbuch schrieb, mit grossen buchstaben, über die ganze seite, vielleicht gedichte. dann bremste die bahn ruppig und es fiel ihm ein päckchen koks aus dem notizbuch, mir direkt vor die füsse. ich habe es aufgehoben und ihm wiedergegeben und wir haben uns kurz angegrinst:
'ey, hängste hier auch rum, wird bald hell,
ausgehungert, suchst nen kick, hipster, tracklists, krasse augen,
die besten unsrer generation,
beatboxen sich durch,
ich rede von wedding bis nach neukölln, 70 stunden lang,
kein geld, was,
konversation, drogen,
krankenhaus, knast,
aber ich schick dir ne postkarte mal,
ficken is wohl nicht, kein herzschmerz, was,
hey, alles voll mit bullen,
sirenen,
vielleicht doch ficken,
seemann im park, im hamam, im kino, bist son feines mädchen, was,
bücher, schaust dir alles an, was, romantisch, zwiebeln, schlechte musik,
ich nehm dich mit, geile performance, fabrikhalle, voll achtziger!!
ich weiß nicht, was so die attraktion des abends ausmacht, ob es der retrocharme ist oder ob es interesse an der halbwertszeit von literatur ist, jedenfalls,
wird dir gefallen!
weißte!'
und weil ich auf der suche nach dem brennen war, dachte ich neukölln vielleicht gute adresse, soll ja sein wie lower eastside in new york früher und folgte wie alice dem weißen kaninchen.
die halle lag tatsächlich im industriegebiet, einem ganz kleinen, überstrahlt vom neon-licht des estrel-hotels, was ziemlich gross ist und ein stück berliner mauer im innenhof stehen hat, ebenfalls angestrahlt. mein begleiter redete und dichtete in einem fort, alle seine verwandeten arbeiten im hotel. er nicht.
die halle war ziemlich dunkel, karg und ungeheizt. die performance hatte gerade angefangen.
eine bleiche frau mit schwarzem pagenschnitt, rotem lippenstift, federboa und einem kleid aus den zwanziger jahren kniete zwischen elektronischen geräten aus den 80er jahren und erzeugte rauschen und lautes feedback, im halbkreis um sie herum stand publikum wie oblatenempfänger, die meisten mit radios in der hand.
'chantal ist heute der zeremonienmeister. sie ist spezialisiert auf channeling der 80er jahre'
flüsterte mir ein junger man mit hut und pelz und schwarzem lippenstift zu und bot mir von seinem rotwein an:
'sie versucht gerade, die umherschweifende stimme des mediums itty minchesta aus dem äther zu angeln.
heute nacht hat chantal nämlich von margot honnecker geträumt. diese führte einen pink flamingo und einen weißen königspudel durch die hasenheide.
dann erlegte der pudel den flamingo und dessen seele flog über die spree in den mauerpark.
deshalb ist mit ziemlicher sicherheit darauf zu schließen, daß chantal gleich durch itty die stimmen von blixa bargeld und einem ostpunk empfangen wird. also lass und helfen, die energie zu halten. komm trink mal einen schluck!'
ich nahm einen schluck vom schweren wein und fühlte mich plötzlich ganz komisch, meine beine wurden schwer und ich hatte ein gefühl weissrosa federn im kopf, wovon mir schwindelig wurde. ich musste mich dringend setzen, bevor ich umkippte. seltsames begab sich. Es war mir als redete ich mit fremden zungen.